Sieht so die Zukunft im Hausbau aus? Die HGB baut in Hamm ein Mehrfamilienhaus aus Brettsperrholz. Es ist das erste dieser Art in der Stadt.
Die Zukunft des Häuserbaus?
FOTO: Reiner Mroß (Westfälischer Anzeiger)
Holzhaus der HGB an der Lippestraße ist alles andere als ein “Standardprodukt”
Hamm-Osten – Das wohl erste Mehrfamilienhaus der Stadt aus Brettsperrholz könnte Schule machen. Zumindest hat der dritte und letzte Bauabschnitt des HGB-Vorhabens Stadttor Ost schon Interesse in der Nachbarschaft geweckt.
Ist das die Zukunft des Hausbaus? HGB baut aus Brettsperrholz
Von einem „Paradigmenwechsel im Häuserbau“ sprach HGB-Aufsichtsratsvorsitzender Karsten Weymann vor wenigen Jahren über die Neuausrichtung der Hammer Gemeinnützigen Baugesellschaft. Bei keinem anderen Bauprojekt werden die nun gesetzten hohen Umwelt- und Energiestandards deutlicher als beim Holzhaus an der Lippestraße. Der Rat der Gemeinde Wickede (Ruhr) machte sich ein Bild davon und legte auf einer Tour auch einen Halt im Öko-Zentrum ein. Das Stichwort ist Nachhaltigkeit.
Nachhaltiger Hausbau: Unter dem Neubau war eine Tankstelle
Unter Nachhaltigkeit oder nachhaltiger Entwicklung versteht das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung „die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden“. Das traf auf die einstige Tankstelle und zuletzt Werkstatt an der Lippestraße nicht zu. Die HGB ließ sie 2020 abreißen. Von einer „äußerst kostspieligen Sanierung“, sprach HGB-Prokurist Dominique Lahme, von alten Tanks, die aus dem Boden mussten, vom Austausch des mit Ölen kontaminierten Bodens bis in vier Meter Tiefe.
In Wickede sind die Voraussetzungen ähnlich. Dort gilt es eine fast drei Fußballerfelder große industrielle Brachfläche eines einstigen Röhrenwerks von Mannesmann zu sanieren. „Wir möchten dort auch den Bedarf an mehrgeschossigem Wohnbau erfüllen“, sagte Bürgermeister Dr. Martin Michalzik, „und suchen nach interessanten Impulsen für Zuschnitte und gefördertes Wohnen“. Apropos Impuls, über die gleichnamige Wirtschaftsagentur und ihren Geschäftsführer Pascal Ledune kam der Kontakt zustande. Ledune stammt aus und wohnt in Wickede.
„Vom Schandfleck zum Klimahelden“: HGB-Haus entstand aus Sperrholz in wenigen Wochen
Lahme beschreibt die Entwicklung des Grundstücks mit den Worten „vom Schandfleck zum Klimahelden“. Was an dem Projekt seiner Auffassung nach so heldenhaft ist, belegte er anhand von Zahlen. Rund 150 Tonnen Holz wurden für den Rohbau verwendet. Hinzu kommen noch etwa 50 Tonnen für die Holzfassade. Das verbaute Holz stammt nicht aus fernen Ländern, sondern aus Österreich, wo der Hersteller des Brettsperrholzes eine Waldwirtschaft betreibt.
Das Haus entstand aus Fertigelementen. Aussparungen, vor allem für Leitungen, müssen im Vorfeld in den fünflagigen Brettsperrholzwänden bestimmt und gefräst werden. So dauern die Planungen eines solchen Hauses länger, der Aufbau ist umso kürzer, statt vier Monate für den Rohbau eines konventionellen Hauses, standen die Fertigteile binnen zweier Wochen.
CO2 gebundene Bauweise – die Klimabilanz des HGB-Hauses
Entscheidend im Sinne der Nachhaltigkeit war, „das Projekt komplett neu zu denken“, sagte Lahme mit Verweis auf die CO2-Bilanz, die Bewirtschaftung und Nutzungsdauer. So sei es durch den Umstieg auf Holz gelungen, der Atmosphäre 266 Tonnen CO2 zu entziehen. Rechnet man die so genannten Substitutionseffekte hinzu, also die Einsparung des beim konventionellen Bauen verwendeten Stahls und Betons, kommt die HGB sogar auf rund 1 500 Tonnen gebundenes CO2 – das auch, obwohl Fahrstuhlschacht und Fundament aus Beton sind.
Das Treibhausgas soll im Sinne einer Nachhaltigkeit möglichst lange gebunden bleiben. Die HGB geht von einer „üblichen“ Nutzungsdauer des Hauses von etwa 80 Jahren aus. Lahme zog allerdings den Vergleich zum ältesten Profanbau der Stadt Hamm, dem Haus Henin. Das Fachwerkhaus wurde 1516 erbaut und ist heute als Brauhaus eine gefragte Gastronomie. Demnach hätte das Haus des Stadttores Ost eine mindestens 500-jährige Geschichte vor sich.
Hoher Energiestandard im Neubau in Hamm
In die Stadtgeschichte könnte das Haus als geförderter Wohnraum auch durch seine energetische Auslegung eingehen. In den vergangenen Jahren habe sich die HGB im Bereich Energie und Wärmeplanung „ganz neu“ aufgestellt, sagte Aufsichtsratsvorsitzender Weymann, „um die HGB auch ein stückweit neu zu erfinden“. Das setzte das städtische Tochterunternehmen bereits bei den ersten beiden Bauabschnitten des Stadttores Ost an der Lippestraße um und setzt beim neuen Haus noch einen drauf.
Das Öko-Zentrum erstellte dazu ein Energiekonzept. Das Haus entsteht als Energieeffizienzhausstandard 40 EE. Die Heizenergie kommt per Wärmepumpe ins Haus. Zur Nutzung der Geothermie reichen zwei Tiefenbohrungen bis 90 Meter in den Boden. Das Haus bekommt eine Photovoltaik-anlage mit einer Leistung von 11 kWp (Kilowatt-Peak), wird mit Solarthermie und Warmwasserspeicher sowie Wohnraumbelüftung ausgestattet.
So viel kostet das Holz-Haus der HGB:
So bahnbrechend das Haus ist: Ob die Holzbauweise für die HGB die Zukunft des Häuserbaus ist, steht nicht fest. „Für uns war es wichtig, hier Nachhaltigkeit komplett anders zu denken, erste Erfahrungen zu sammeln“, sagte Lahme. „Das Haus ist kein Standardprodukt, das man sofort in der Masse bauen kann. Es ist sehr kostenintensiv.“ Wie hoch die Gesamtkosten sind, sagte er nicht, aber dass die kfw das Gebäude mit 1,8 Millionen Euro fördere. „Die Konditionen des Landes sind sehr gut. Die Hälfte wird als Tilgungsnachlass gewährt.“
Einzug und Baufortschritt des HGB-Hauses
Äußerlich sind die Bauarbeiten am Haus weit fortgeschritten. Im Inneren ist noch viel zu tun. Voraussichtlich im April 2024 können die ersten Mieter einziehen.
TEXT: Torsten Haarmann (Westfälischer Anzeiger)
QUELLE: Westfälischer Anzeiger